Die Berliner S-Bahn ist oft von Gesprächen, Musik und Telefonaten erfüllt. An diesem Abend aber ist es vor lauter Feierabendmüdigkeit ganz still. Wenn nicht immer wieder Haltestellen durchgesagt würden, die Potsdamer Platz oder Brandenburger Tor heißen, schliefe man vielleicht ein. Und vergäße womöglich, wo man ist, denn die S-Bahn verläuft auf diesem Streckenabschnitt unterirdisch und so ruhig, regelmäßig ruckelnd, irgendwie losgelöst von Raum und Zeit. Die Köpfe der Passagiere sind geneigt, der Blick geht aufs Handydisplay oder ins Leere; viele haben die Augen geschlossen. Es ist eine andächtige Stimmung voller erschöpfter Vorfreude aufs Zuhause.
Kurz hinter der Haltestelle Nordbahnhof taucht die Bahn aus ihrem Tiefgang auf, die Schienen führen wieder an die Erdoberfläche. Und plötzlich wird der Waggon von warmem Sonnenuntergangslicht geflutet. Wie Blumen, die ihre Köpfchen zur Frühlingssonne recken, richten sich die Passagiere der S-Bahn auf. Sie blinzeln überrascht und lächeln über diesen Augenblick, den sie zwischen Arbeit und Feierabend gar nicht erwartet hatten. Ein unverhofft schöner Moment.
Geschrieben für die wochentaz