So sehen Siege aus

Bei den Special Olympics Landesspielen in Mainz stehen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung im Mittelpunkt und auf Podesten – es geht um Medaillen, Teilhabe und darum, wer am lautesten anfeuern kann.

“Wo sind unsere Pompoms? Hat der andere Verein die gestern mitgenommen?” Kurz nach neun ist die Luft auf der Leichtathletik-Anlage in Mainz-Gonsenheim noch kalt. Am Rand der Tartanbahn hat der inklusive Sportverein Wäller Sportgemeinschaft (WSG) sein Lager aufgeschlagen für den zweiten Wettkampf-Tag der Special Olympics Landesspiele. „WSG – Wir Schaffen’s Gemeinsam“, steht hinten auf den Jacken.
Auch ohne ihre Puschel stehen jetzt mehr als 50 Vereinsmitglieder, Trainer*innen und Betreuer*innen gemeinsam hinter der Bande und feuern Annalena und Joy beim 1500 Meter Finale an. „Man darf nicht zu schnell, sonst zählt es nicht!”, befürchtet eine der Betreuerinnen. Tatsächlich werden die beiden Schülerinnen später zu schnell gewesen sein.

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Wenn abends noch mal die Sonne aufgeht

Die Berliner S-Bahn ist oft von Gesprächen, Musik und Telefonaten erfüllt. An diesem Abend aber ist es vor lauter Feierabendmüdigkeit ganz still. Wenn nicht immer wieder Haltestellen durchgesagt würden, die Potsdamer Platz oder Brandenburger Tor heißen, schliefe man vielleicht ein. Und vergäße womöglich, wo man ist, denn die S-Bahn verläuft auf diesem Streckenabschnitt unterirdisch und so ruhig, regelmäßig ruckelnd, irgendwie losgelöst von Raum und Zeit. Die Köpfe der Passagiere sind geneigt, der Blick geht aufs Handydisplay oder ins Leere; viele haben die Augen geschlossen. Es ist eine andächtige Stimmung voller erschöpfter Vorfreude aufs Zuhause.

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Wenn einen ein Buch alles vergessen lässt

Wahrscheinlich kommen sie gerade vom Sporttraining oder sie hat ihn von der Schule abgeholt. Jedenfalls sind der Junge und seine Mutter mit Schulranzen, Sportbeutel, Tretroller und Tasche beladen als sie am Berliner Humboldthain aus der S-Bahn steigen. Der Junge ist ungefähr acht Jahre alt und so in sein Buch vertieft, dass er es nicht mal aus der Hand legen kann, als sie die Treppe zur Straße hochstapfen. Deswegen muss seine Mama neben dem Ranzen auch den Tretroller tragen. Ihre eigene Tasche ja sowieso – ein Symbolbild über Mutterschaft und weibliche Care-Arbeit, aber das führt hier vielleicht zu weit.

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You can never kill me: Darf man die neu entdeckten Songs von Michael Jackson hören?

Was haben Wolfgang Amadeus Mozart und Michael Jackson gemeinsam? Beide waren musikalische Wunderkinder, die von ihren ehrgeizigen Wunderkind-Eltern schon mit sechs Jahren zu Auftritten gepusht wurden. Und von beiden tauchte anno 2024 unveröffentlichte Musik auf. Die unbekannten Lieder des King of Pop hatte ein Ex-Polizist und Ebay-Schatzsucher in einem Lagerraum ausgegraben und erstmal monatelang nach Abspielgeräten gesucht.

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Was Anschläge erzählen – Terrorismus als Kommunikation

Eigentlich zielt Terrorismus immer auf Medienaufmerksamkeit ab. Anschläge werden medienwirksam nach den Regeln des Nachrichtenwerts inszeniert, denn Terrorist*innen wollen nicht nur Opfer verletzen, sondern auch ein Publikum einschüchtern. Die Terrorgruppe, die im größten Prozess seit der Wiedervereinigung Deutschlands belangt wurde, hat sich allerdings erst Jahre nach ihrem letzten Mordanschlag dazu bekannt. Damit entzog sich der sogenannte „Nationalsozialistische Untergrund“ der Medienlogik rund um Terrorberichterstattung. Stattdessen verfolgten sowohl die Sicherheitsbehörden als auch die Medien vor allem Narrative der organisierten Kriminalität oder verdächtigten Angehörige und Opfer der Anschläge.

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Hate im Internet

Online Medien bieten nicht nur zahllose Möglichkeiten zur Teilhabe, für einen flexiblen Wechsel zwischen Kommunikator- und Rezipientenrolle und für mehr Öffentlichkeit für wichtige Themen – sie haben auch unerwünschte Nebenwirkungen. Eine davon ist Inzivilität, also Hassrede, beleidigende, verleumdende, nicht jugendfreie oder andere rechtswidrige Inhalte. Eine besondere Form davon sind Shitstorms, so nennt man kollektive Empörung oder Kritik, die innerhalb eines begrenzten Zeitraums und auf ein Ziel gerichtet stattfindet. Im Gegensatz dazu ist Trolling ein Normverstoß in der persönlichen Interaktion. Dabei stören einzelne User den Diskurs auf eine besonders disruptive Art. Meist ohne inhaltlichen Grund wird es auch „Stören um des Störens willen“ genannt.

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Von Wakenitz bis Rhein

en Akzent meiner Mama höre ich nur am Telefon. Dass mein Papa anders spricht, als die Väter meiner Schulfreundinnen, merkte ich immer dann, wenn er mich nach einer Feier abholte, wir eine von ihnen mit dem Auto mitnahmen und ich ihn plötzlich mit den Ohren dieser Norddeutschen hörte. Meine eigene kuriose Aussprache mancher Wörter fällt mir jedes Mal wieder auf, wenn ich die Tonqualität der Audiospuren einer Präsentation kontrolliere.

Das ist ein lustiges Phänomen und führt zu vielen kleinen „huchs“ und „ach echts“ – man könnte meinen dass mir die verschiedenen Aussprachen meiner Familie nach all den Jahren bewusst wären.
Es ist aber nicht mein Phänomen sondern ein kollektives. Das kennen Kinder von Migrant*innen, Menschen die code-switchen oder sich so an die wissenschaftlichen Fachbegriffe ihres Berufs gewöhnt haben, dass sie diese gar nicht mehr als die obskuren Fremdwörter wahrnehmen die sie sind.

Obwohl ich mir die Finger wundgesucht habe konnte ich keine linguistische Bezeichnung dafür finden, allerdings so viele persönliche Erlebnisberichte, dass ich das ohne Skrupel weiter generalisieren werde. So wie Rhabarber der Spargel des Obsts ist, verhält sich dieses Phänomen zu der Geruchsblindheit die man für sein Zuhause entwickelt. Irgendwie rührig, dass man sich an manche Sachen so sehr gewöhnt, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt. Aber bei den schönen Dingen kann es auch gut sein, sich ihrer wieder bewusst zu werden. Moin, machets gut.

Kirskålssläktet

Manchmal geht die Veränderung als verlorene Haltlosigkeit aus.
Sie kleidet sich dann in unbarmherzige Abschiede, den Schmerz von Verlust und dem kalten Geschmack des Unbekannten.

 

 

Für gewöhnlich kriegt man die Veränderung in diesem Gewand aber nicht so leicht vor die Linse
und sieht stattdessen nur ihre Schatten, die Umrisse einer resignierten Lustlosigkeit die an ihren schwärzesten Stellen sogar jede Lebensfreude leugnet.
Alles ist getaucht in die Verunsicherung die sich auf nichts verlassen kann, weil nichts Bestand hat.

 

Die Leinwand des Schattens aber ist gemacht von ewiglicher, bedingungslos treuer Hand und bleibt unter jedem Schatten immer gleich.

Immer aber ist Veränderung unausweichlich, notwendig und kräftig. Sie ist es, die das Wasser fließen lässt, was den Sauerstoff durch die Kiemen zum Fisch bugsiert. Sie bringt Sonne dazu aufzugehen über jeder neuen Chance.