Oben ist auch hier unten

Ich war gerade oben. Auf dem Dachfirst. Ich habe den Schritt gewagt, heraus aus dem Zimmer, meiner Comfort Zone. Habe das Dachfenster geöffnet, mit der Mischung aus Mut, Bewusstsein des Wahnsinns aber auch dem Gefühl, dass das das einzig Richtige ist in meinem Blut. Ich stieg auf meinen Schreibtisch, stellte mich auf das Fensterbrett und streckte den Arm aus zu den Sprossen einen Meter neben mir.
Ich streckte mich, reckte mich der Freiheit entgegen und ergriff meine Chance. Ohne nachzudenken zog ich mich aufs Dach. Jetzt gab es kein zurück mehr. Vollkommen unbekanntes Terrain. Angst, Wunsch, Adrenalin. Und dannn war ich oben. Saß auf dem Dachfirst, neben mir der Schornstein.

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Ich will wieder hoch. Jetzt. Obwohl ich unglaubliche Angst hatte, unser Haus ist über zehn Meter hoch, das Dach steil. Die Dachziegel neben mir sind so rutschig, dass ich auch barfuß keinen Halt finden kann und der Wind weht mir ständig Haare ins Gesicht.
Doch dass ist besser als hier unten im Moment. Ich will raus, frische, neue, hoffnungsvolle Luft in der Nase und unvoreingenommene Freiheit im Gesicht spüren.
Denn es ist wieder einer dieser Momente, in denen mich die Dunkelheit hier unten zu verschlingen scheint. In denen diese Leere in meinem Herzen mich ganz verrückt macht. In denen ich mir die Ohren und Augen zuhalten will, denn alles um mir herum schreit: `DU BIST ALLEIN!´

Das ist nicht immer so, nein. Ich erlebe so viele Momente des Glücks, hier unten, in meinem Leben. So viele Augenblicke gefüllt mit Liebe und Freude. So viel Freundschaft und Geborgenheit, Gottes Hand unter mir wissend. Ich BIN nicht allein. Das weiß ich. Und die meiste Zeit fühle ich es auch, ist mir das bewusst.
Aber dann kommt wieder diese Dunkelheit und reißt mir den Boden unter den Füßen weg. Es sind Flashbacks in eine Zeit, in der ich mehr Grund hatte, mich einsam zu fühlen. Und das Gefühl, dass ich meiner Vergangeheit nicht trauen kann. Dass nur der Moment zählt. Dass ich mich nicht ausruhen darf, nur das bin, was ich in dem Augenblick gerade geschafft habe und deshalb niemals stehen bleiben und Luft holen darf.

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Oben darf ich das. Ich bin außen vor, lasse mein Leben mit der Dunkelheit unten und atme tief durch. Ich bin einfach Marie. Die, die so gern mit dem Fahrrad durch die späte Nachmittagssonne fährt. Die, die so glücklich und froh und dankbar über diese Geschenke in ihrem Leben ist. Dieselbe Marie, die ich mit acht Jahrn war, als ich Kalle Blomkvist gespielt habe. Nur um viele Gedanken, Erfahrungen und Perspektiven reicher. Die Marie, die so stark war, Dunkles bekämpft und besiegt hat. Die Marie, die mir lachend aus dem Spiegel entgegen guckt. Weinend. Verzweifelt. Verschmitzt. Glücklich. Die Marie, die Gott vertraut, dass er sie nicht allein lässt. Die vergeben und loslassen kann. Der diese Dunkelheit nichts anhaben kann, auch wenn jetzt Herbst wird. Denn ich hole tief Luft, dort oben auf dem Dachfirst und merke, dass es diese luft auch hier unten gibt. Ich trage die wiedergewonnene Freiheit mit mir herunter und zünde ein Lagerfeuer an.

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Flaschenpost

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Flaschenpost. Eigentlich schicke ich eine Flaschenpost los, wenn ich hier einen Text schreibe. Ich hole meine schönsten Stifte heraus, schreibe in Schönschrift und mit Bedacht, denn – obgleich es bedeutungslos erscheinen mag – es ist mir wichtig. Sinnvoll, praktisch, notwendig oder logisch ist das ja allemal nicht, unadressierte Sachen einfach so in die Wellen des Internets zu werfen. Man tut es des bloßen Schreiben wegens. Oder des Fotografierns, Malens, Codens, Erschaffens. Der Freude wegen. Und weil es ja vielleicht doch jemand findet, sich freut oder zurückschreibt. Eine Flaschenpost umgibt etwas geheimnisvolles. Keiner weiß, was sie auf ihrem Weg erleben wird, erlebt oder erlebt hat, sie ist das einzige, das den Empfänger mit dem Verfasser verbindet, streift beide Parteien und versiegelt deren Verbindung. Flaschenpost.

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Das Meer hat es nicht nötig, mit Blinklichtern und Neoneffekte auf sich aufmerksam zu machen, es weiß um seine atemberaubende Ausstrahlung. Und so verwandelt es sich, mit seinem Kompagnon dem Abendhimmel in einer einzigartigen langsamen Bedächtigkeit, die zeigt, dass es um seine Mächtigkeit Bescheid weiß. Es leuchtet von ganz allein, aus reinster Schönheit.

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Diese Flaschenpost schicke ich aus La Rochelle auf ihre Reise. Kurz nach Sonnenuntergang werfe ich sie ins tiefblaue Wasser des alten Hafenbeckens, neben die glitzernden Spiegelungen der Straßenlaternen und den Lichtern der Cafés an der Hafenpromenade, zwischen die kleinen Segelboote und Ausflugsschiffe. Von doort wird sie aus dem Hafen, zwischen den beiden alten Türmen hindurch aufs offene Meer getrieben. In die FReiheit des Atlantiks.

Februarnächte

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Siebter. Empfindet man nachts anders?

Nächten fehlt naturgemäß das – natürliche – Licht, welches ja,

wie auch immer und sicher auf diversen Wegen, uns glücklich zu machen in der Lage zu sein scheint.

Doch nachts fühlt man nicht nur negativer, oder? Oder ist das die Müdigkeit?

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Zwölfter.

Nächte können einsam sein.

Unglaublich einsam, unfassbar unbarmherzig.

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Neunundzwanzigster. Sie ist raus.

Aus der Bahn geworfen von irgend einem kleinen, vorbei rasenden Kometen aus lauter Nichtigkeit,

der aber ihren Wall zerstört hat.

Diese mühsam errichtete Schutzmauer aus Ritualen, Gefiltertem, Gebeten, Geplantem und Plänen,

die dennoch so instabil ist.

Winternächte

 Es war der Vierundzwanzigste. Abends.

Alle – zumindest alle, von denen sie wusste – lagen bereits schlafend im Bett. Der Tag ging auf sein Ende zu, und so verhielt er sich auch.

In sich gekehrt und mit sich, der Welt und seinem Schaffen im Reinen, zog er sich langsam und kaum merklich zurück,

um die Menschen – wie die Tiere, Pflanzen, das Meer und das Salz in der Luft – behutsam auf seinen baldigen Abschied vorzubereiten.

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Fünfundzwanzigster. Abends.

Sie flogen mit hundertdreißig zu euphorischem David Garrett ihrem Ziel entgegen.

Der Himmel stand in Flammen.

Alle jemals dagewesenen Schattierungen der Farben zwischen dem Knallorange des sich so dramatisch verabschiedenden Sonnenballs

bis zum Pastellrosa der Federwölkchen, dem goldstichigen Türkis des dazwischen neckisch aufblitzenden Himmels

und dem majestätisch alles Vereinnahmenden tiefen Königsblau bekamen ihren Auftritt im beinah einstündigen Spektakel.

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Einunddreißigster / Erster.

Es ist spät und sie versteht langsam, WARUM man so etwas wie Schlafen in der Nacht erfunden hat.

Sie war ganz froh, jetzt, mit ihren kleinen Geschwistern um sich, im Bett zu liegen.

Das Besondere dieser Nacht liegt wohl darin, dass sich alle in ihren so unterschiedlichen Gewohnheiten und völlig verschiedener … nun,

Leben – plötzlich in einem Abend und in einer Handlung kreuzen, überschneiden, sich verbindend vereinen.

Aber nicht verbindlich, oh nein, ebenso wenig wie die zahlreichen guten Vorsätze,

die schon am zweiten Januar viel von ihrer Imposantheit eingebüßt haben werden müssen.

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